Grenzen setzen und Intimität

Nichts gegen menschliche Kulturen. Sie haben ja auch ihr Gutes. Den Fortschritt und so. Bei einigen zentralen menschlichen Themen stellen sie sich aber doch recht ungeschickt an. Um nicht zu sagen: rückschrittlich.

Nehmen wir das Beispiel Intimität. Die Sehnsucht nach Intimität, der Sog in die Intimität dringt ja auch zum kultivierten Menschen noch durch. Die Ahnung, dass das mit Nähe zu tun hat – mit einer sagen-haften, warmen, erlösenden, lustvollen Nähe zu sich selbst und zu anderen Menschen. In seiner Kultur und unglücklichen Vernunft geht der kultivierte Mensch dann gerade heraus darauf zu. Kopfüber, ohne Umschweife und Schnörkel kommt er zur Sache. Man legt sich einander nahe (mit entsprechenden Klamotten, Sprüchen und Make-ups), man bringt sich einander nahe (in entsprechenden Clubs und Bars) und legt sich dann wieder einander nahe (diesmal ohne Klamotten, im Bett oder sonst wo).

So sieht das menschliche Projekt Intimität aus, und jedes Tier – zu intelligent, um sich in Kulturen zu verirren – könnte uns sagen, dass das zum Scheitern verurteilt ist. Da haben die menschlichen Kulturen nämlich Pech gehabt: Wir haben alle und samt und sonders tierische Nervensysteme. Und Tiere lassen sich Zeit und geben sich Zeit, um Intimität, Vertrautheit, Vertrauen und Entspannung geschehen zu lassen. Tiere sind vernünftig genug, um Intimität nicht von der Vernunft aus anzugehen, sondern sie ihrem Körper und Nervensystem zu überlassen.

Geborgenheit öffnet den Raum für Intimität

Intimität, tiefe Intimität, wo zwei Körper beieinander sind und beieinander bleiben und atmen und dieses Bleiben und Atmen aushalten und umarmen und erleben können, das ist an einen entspannten Modus im Nervensystem gekoppelt – an erlebte Sicherheit. Intimität kann erst geschehen, wenn zwei Körper sich miteinander sicher fühlen. Und dann aber richtig! Dann auch dort, wo es unserem Beuteschema, unseren Konzepten, Gewohnheiten und Erwartungen vollkommen widerspricht.

Freiwilligkeit. Intimität geschieht nur freiwillig. Und Freiwilligkeit ist eben nicht käuflich. Nähe ist käuflich, Sex ist käuflich, Gegenüber sind käuflich, aber Intimität ist es nicht. Meine freiwillige Einwilligung ist nicht bestechlich und nicht käuflich, weder von mir noch von meinem Gegenüber. Sie folgt allein, ewig allein und immer nur ihren eigenen Gesetzen. Ich kann mich nicht überreden, freiwillig zu sein. Ich kann mir nicht Sicherheit geben, wenn ich dabei darauf spekuliere, dass ich dann ja freiwillig mitmachen werde… Intimität widersteht in unantastbarer Intelligenz jedwedem Manöver, jeder Manipulation, jedem Wollen und Tricksen. Sie entfaltet sich nur dort, wo sie darf. Und niemals, niemals dürfen muss. Das macht einen Teil der Magie aus von echter Intimität: Mit ihr verhält es sich wie mit dem Stein des Weisen. Wer Intimität benutzen will, der wird sie nicht erleben. Intimität ist unbedingt ehrlich und darin unbedingt heil und frei und schön.

Intimität als Urzustand

Wenn die Umstände stimmen, schaltet sich Intimität sozusagen von selbst in uns frei, in einem Raum in uns, der unantastbar echt und voller Weisheit und Würde ist. Der Weg in diese Intimität ist nicht das Lernen von etwas Neuem, sondern das Weglassen von etwas Altem.

Immer wieder widmen wir unsere Erfahrungen genau diesem: einem sicheren Raum mit Zeit genug, um Zeit zu haben. Mit Wachsamkeit genug, um uns gegenseitig immer wieder sanft aufzuwecken aus unserer Kultur-Trance. Schicht um Schicht wird es ein Abtragen von Gelerntem und Traumatischem, von Erlebtem und Verdrängtem, ein Abschälen unserer Schalen aus Schutz und Scham, die wir um die Intimität gelegt haben. Hinein in einen ruhigen atmenden eigenen Körper, in eine Intimität von mir selbst mit mir selbst – mit dir – mit uns.

 


Mehr davon? Dann könnte dir das Seminar „TigerWork“ gefallen, das ich gemeinsam mit meinem Partner Mari leite – zwei Wochenenden unter Frauen, um die Power und Weisheit unserer Instinkte wieder nutzen zu lernen!

©Ilan Stephani